Eine Herzensangelegenheit - 25 Jahre Herzpatient


September 2024

Schon als Kind und Jugendlicher litt ich häufig unter starken Muskel- und Gelenkschmerzen und recht früh wurde damals zwar "Rheuma" diagnostiziert - der "Systemische Lupus Erythematodes" als Autoimmunerkrankung war jedoch selbst unter Rheumatologen noch nicht so richtig bekannt. Nach dem Abitur hatte ich dann zum Glück einige Jahre, in denen ich relativ schmerzfrei und körperlich erstaunlich belastbar war. Besonders begeisterte mich damals der Radsport: Mehr als 300 Watt Dauerleistung waren möglich und wöchentlich wurden ca. 300 - 400 Kilometer abgespult. Ich war richtig fit - es war super! Im Frühjahr 1999, mit Mitte dreißig, ging aber plötzlich von heute auf morgen nichts mehr: Starke Luftnot, schnelle Herzrhythmusstörungen und extreme Kraftlosigkeit warfen mich im wahrsten Sinn des Wortes aus dem Sattel. Ich bin zeitnah zum Hausarzt gegangen und kam von dort nach dem ersten EKG direkt mit dem Krankentransport in ein kardiologisches und - zum meinem Glück auch - rheumatologisches Zentrum, in dem ich dann fast drei Monate am Stück verbrachte. Das "Sportler-Leben" war ab diesem Zeitpunkt vorbei!

Mein "kardiologischer Lebenslauf"


  • 1999: Erste schwere Herzmuskelentzündung. Mehrere Herzmuskelbiopsien zur Diagnose: Es wird festgestellt, dass ich schon früher (unbemerkte) Herzmuskelentzündungen hatte. Eine immunogene Myokarditis als Folge des Systemischen Lupus Erythematodes (SLE) ist am wahrscheinlichsten, da Viren und Bakterien als Ursache ausgeschlossen wurden. Über ein Vierteljahr lebe ich im Krankenhaus. Behandelt wird mit hochdosierter Kortisontherapie und anderen Immunsuppressiva (u.a. Azathioprin).
  • 2000: Erste gefährliche Herzrhythmusstörungen. Therapie mit diversen Antiarrhythmika. Parallel wird die Immunsupression höher dosiert, um den Systemischen Lupus in Schach zu halten.
  • 2001-2005: Immer wieder lange stationäre Krankenhausaufenthalte, weil es zu weiteren Myokarditiden kommt. Hochdosierte Kortisongaben über längere Zeiträume. Zwischendurch hatte ich auch recht gute Phasen.
  • 2006: Umfangreiche Ablationen des Herzens (Starkstrom-Verödungen von Nervenleitbahnen im Herzmuskel) wegen bedrohlichen VT-Rhythmusstörungen - leider ohne Erfolg. Danach erste Implantation eines Defibrillators (ICD). Noch im selben Jahr rettet der Defi dreimal mein Leben!
  • 2007-2008: Das waren eigentlich einigermaßen gute Jahre auf niedrigem Leistungsniveau!
  • 2009: Sondenfehler des Defibrillators. Der zweite Defi wird implantiert. Leider lässt sich das defekte Kabel nicht mehr entfernen - es verbleibt im Herzmuskel. Die Pumpleistung liegt bei ~35% EF.
  • 2010-2014: Langsame, aber kontinuierlich fortschreitende Verschlechterung der Herzpumpleistung auf ~ 25% EF. Der Alltag ist ab 2014 kaum noch zu bewältigen, Gehstrecken von mehr als 200 m fallen schwer. Die damals verfügbare medikamentöse Therapie ist ausgereizt. Der Defibrillator erlöst mich auch wieder einige Male von ventrikulären Tachykardien. Das ist zwar "schockierend", aber 'ne echt coole Sache, wenn man danach wieder einen schönen langsamen Sinusrhythmus hat und weiterleben darf! Es gab in dieser Zeit mehrere längere Krankenhausaufenthalte.
  • 2015: Kabelbruch des 2. Defibrillators. Es kommt zu 12 inadäquaten Schocks mit maximaler Stromabgabe - das macht keinen Spaß! Der 3. Defibrillator wird mit neuen Sonden implantiert. Mittlerweile verbleiben zwei defekte Elektrodenkabel im Herzen und sorgen für eine undichte Trikuspidalklappe. Die Implantation eines CRT-Systems zur Synchronisation der linken und rechten Herzkammer wird diskutiert, um meine Pumpleistung noch etwas zu erhöhen. Man entscheidet sich aber dagegen, da in meinem Fall das Risko von schweren Komplikationen sehr hoch ist. Im selben Jahr bekomme ich die erste von vier (über jeweils 4 Wochen laufenden) Immunadsorptionstherapien, um den Herzmuskel von bestimmten Antikörpern "zu befreien". Eine leichte Verbesserung ist zwar fast ein Jahr lang spürbar, aber leider nicht dauerhaft.
  • 2016: Als neu zugelassenes Medikament gegen die Herzschwäche kommt Entresto hinzu. Auch hier gibt es vorübergehend eine leichte Verbesserung. 
  • 2017-2018: Es gibt ein paar bessere Phasen, aber nur kurz. Eine dritte Immunadsorption bringt leider keine richtige Verbesserung meines Zustands.
  • 2019: Ich werde immer schwächer und bin mittlerweile in einem Transplantationszentrum "gelandet". Mein Zustand ist aber noch nicht schlecht genug, um auf die Warteliste für ein Spenderherz gesetzt zu werden.
  • 2020: Mir geht's beschissen - ich kann mich kaum bewegen und habe schwere Atemnot. Es wird zusätzlich das neu zugelassene Medikament Forxiga eingesetzt. Weitere medikamentöse Therapien sind jetzt nicht mehr möglich, bzw. sinnvoll - ich bin also austherapiert! Eine vierte Immunadsorption wird mangels Erfolg und wegen der Corona-Pandemie vorzeitig abgebrochen.
  • 2021: Mein Herz ist am Ende - ich werde im Frühjahr auf der Transplantations-Warteliste im T-Status als "transplantabel" gelistet. Im Sommer sieht es so aus, als ob ich den HU-Status erreicht habe, also "High Urgency" und ich packe meine Koffer in der Annahme, sehr lange Zeit im Krankenhaus zu liegen. Aber es wurden wohl erst kürzlich die Vorausetzungen bzw. Kriterien für den HU-Status von der Eurotransplant-Kommission verschärft (es gibt zu wenig Spender) und ich behalte leider meinen T-Status, bei dem man in der Regel weniger gute Aussichten auf ein Spenderherz hat. Anfang August schicken die Ärzte mich wieder nach Hause. Ich bin stinksauer, gefrustet und hoffnungslos zugleich. Aber dann ...

Herztransplantation (HTX) im September 2021


Ich habe über 22 Jahre lang mit meinem kranken und zuletzt riesigen Herz gekämpft - nein, eigentlich hat es für mich gekämpft und unglaublich lange durchgehalten! In dieser Zeit habe ich zusammengefasst mehr als zwei Jahre in Krankenhäusern gelegen, in den schlechtesten Phasen gerade 15 % Pumpleistung gehabt, aber auch immer wieder minimal bessere Phasen erlebt. Zum Schluss konnte mein Herz einfach nicht mehr. Seit über zwei Jahrzehnten warte ich letztlich auf ein Spenderorgan - mein erster Kardiologe sollte Recht behalten:

 

Es sah im Sommer '21 für mich so aus, dass ich zeitnah wohl kein Spenderherz erhalten würde - mir ging es es zwar total beschissen, aber meine "medizinischen" Voraussetzungen waren noch nicht entsprechend mies genug und die Verfügbarkeit passender Spenderorgane war schon länger sehr schlecht. Ich rechnete daher am ehesten mit einem BiVAD-Pumpunterstützungssystem oder sogar einem echten Kunstherz (TAH), wobei beides für mich aber eigentlich keine akzeptable bzw. vorstellbare Lebensführung bedeutet hätte.

 

Dann klingelte jedoch Ende September während einer "letzten" Wohnmobilreise nachts um 2:00 Uhr das Handy. Kurz zuvor war ich auf dem Parkplatz einer Teichlandschaft 60 km westlich von Berlin neben ca. 3000 Kranichen im Wohnmobil eingeschlafen. Zuerst wollte ich gar nicht ans Telefon gehen, da es eine mir unbekannte Mobilnummer war. Gut, dass ich es mir anders überlegt und das Gespräch angenommen habe!

 

Es war das Herz- und Diabeteszentrum Bad Oeynhausen (HDZ-NRW)"Herr Rüblinger, wir haben ein Herz für Sie!" ... längere Pause ... "Ähm, aha, ok. Ich will nur mal kurz meine Frau anrufen und dann melde ich mich in drei Minuten nochmal bei Ihnen, um alles Weitere zu besprechen!" Andrea war natürlich genauso geschockt und überrascht wie ich, aber es war uns beiden klar, was dieser Anruf bedeutet! Wir hatten Monate zuvor alles besprochen und geklärt. Dann ging es sehr schnell: Mit einem Krankenwagen (oder einem Hubschrauber) wollte ich eigentlich nicht transportiert werden - ich war fern der Heimat allein mit dem Wohnmobil unterwegs und das wollte ich nun wirklich nicht am Teich zurücklassen! Zum Glück war der nette Transplantationskoordinator unheimlich "flexibel" (Dankeschön für das Vertrauen!) und ließ mich mit dem Wohnmobil die knapp 370 km direkt zum Herzzentrum fahren. Selbstverständlich und üblich war das allerdings überhaupt nicht - Patienten fahren eigentlich nicht persönlich, also am Steuer sitzend, zu ihrer eigenen Transplantation. Obwohl ich hochkonzentriert und klar im Kopf war und absolut sicher fahren konnte, war es doch die wohl skurrilste Autofahrt meines Lebens! Und das bei sehr schlechten Wetterbedingungen: Es war entweder dichter Nebel, oder es regnete in Strömen. Zum Glück hatte ich Andrea regelmäßig am Telefon (keine Bange: Freisprechanlage!), ohne die ich kurz vor dem Ziel sogar noch in eine Autobahnvollsperrung geraten wäre. Ankunft dann wie vereinbart: Punkt 6:00 Uhr. Logo, ich bin immer pünktlich - warum sollte es diesmal anders sein? 😉

 

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Irritierend gelassen und ruhig!

Ich parkte das Wohnmobil auf dem Besucherparkplatz des Herzentrums und räumte doch tatsächlich noch das Auto auf. Typisch für mich - man weiß ja nicht, ob man nochmal zurück kommt und was sollen dann die Leute denken, die das Fahrzeug abholen, wenn sie ein unordentliches Wohnmobil vorfinden! Die Situation beim Anmelden in der Patientenaufnahme war auch recht seltsam. Schon komisch, wenn man sich selbst zur eigenen Herztransplantation anmeldet, die wenige Stunden später stattfindet. Als alle Formalitäten erledigt waren, fuhr ich im Aufzug in den dritten Stock zur Operations-Vorbereitung. Hier entstand vor der Spiegelwand auch das letzte Foto mit meinem eigenen Herzen in der Brust. Es war wirklich erstaunlich, wie entspannt und ruhig ich vor der Operation war. Vielleicht habe ich auch nur noch funktioniert. Um 9:00 Uhr ging es ganzkörperrasiert in den Operationssaal und gegen 15:30 Uhr hatten die Ärzte meinen Brustkorb wieder zugenäht. 

 

Irgendwie surreal: Etwa acht Stunden nachdem ich mit meinem Camper höchstpersönlich auf den Krankenhausparkplatz fuhr, wurde mein eigenes Herz - ich nenne es jetzt das "alte Herz" - im Müll entsorgt. Ich habe tatsächlich ein Bild mit einem Abfalleimer vor Augen, wenn ich mir das vorstelle, denn der Chirurg sagte nach der Operation zu Andrea, dass das Herz "riesengroß und sehr krank" gewesen sei. Für die Tonne halt - alles irgendwie unglaublich!

 

Herztransplantation: Erfahrungsbericht
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Die Operation verlief wohl nicht ganz so einfach und gegen Ende der Transplantation mussten sich die Ärzte beeilen, da ich zu wenig Sauerstoff im Hirn hatte. Es ging aber anscheinend alles ordentlich zu Ende. Lediglich zwei alte Defibrillator-Sondenstücke verblieben in einem Gefäß - es fehlte die Zeit, sie noch sicher zu entfernen. Aus der Narkose wollte ich dann jedoch fast eine Woche lang nicht richtig aufwachen. Als ob ich geahnt hätte, was da auf mich zukommt ...Neben einer Matschbirne und Schmerzen hatte ich Ödeme über den ganzen Körper verteilt, ein akutes Nierenversagen, "schlechte" Blutwerte, Erinnerungslücken, Wortfindungsstörungen, lange eine lallende Aussprache, Konzentrationsprobleme sowie eine unglaubliche Kraftlosigkeit und Müdigkeit. Irritierend waren die ersten 10 Tage anhaltenden ausgeprägten visuellen, olfaktorischen und akustischen Halluzinationen. So ähnlich müssen wohl LSD-Trips sein: Ich sah alles bunt, konnte Bilder aufrufen und verändern, wie es mir gefiel und ganze Filmsequenzen als Regisseur bestimmen. Alles roch und schmeckte nach dem Gemüse Romanesco - das war meine erste Mahlzeit nach der Narkose. Unabhängig davon, was ich tatsächlich in der Nase hatte (Desinfektionsmittel, der Geruch einiger Pfleger:innen oder der Essensgeruch) - es roch nach Romanesco. Egal was ich gegessen oder getrunken hatte - es schmeckte nach Romanesco. Ganz schlimm waren aber die akustischen Täuschungen, also das, was ich meinte zu hören, obwohl einfach nichts zu hören war: Rund um die Uhr, also wirklich von morgens bis abends habe ich das Lied "Ich liebe das Leben" von Vicky Leandros als Dauerschleife im Kopf gehabt. Dass es gerade dieser Titel war, ist ja schon irgendwie verrückt! Freiwillig hörte ich das Lied in der Vergangenheit nie, ich wurde aber zu Hause wenige Wochen vor dem Eingriff regelmäßig von meinen Nachbarn damit (und mit anderen fürchterlichen Liedern) lautstark jeden Abend pünktlich um 19:00 Uhr beschallt, die mit diesen Songs gegen das Coronavirus auf der Straße "ansangen". Es hat mich im Krankenhaus bald verrückt gemacht, das Lied ständig "zu hören" und ich dachte tatsächlich sehr lange, dass alle Menschen (inklusive Andrea) um mich herum ein echtes Problem mit ihren Ohren hatten! Nach etwa einer Woche war der Spuk mit den Farben, dem Romanesco-Gemüse und Vicky plötzlich vorbei! Erstaunlich, was Narkosemittel und hochdosiertes Kortison im Gehirn anrichten können.

 

Herztransplantation Erfahrungsbericht
Wenn das erste Joghurt nach der OP einen bereits nach dem zweiten Löffel kräftemäßig an die Grenzen bringt, schmeckt es um so besser! (A)

 

Dass der Weg nicht leicht wird, war mir schon bewusst, aber dass es so mühsam und frustrierend verläuft, hatte ich mir nicht vorstellen können. Auch nicht, dass ich nach der Transplantation noch so lange im Krankenhaus liegen würde. Vier Wochen nach der Transplantation konnte ich zwar nach Hause, hatte dort aber nach wenigen Tagen eine bradikardiebedingte Synkope und wachte mit ordentlichen Platzwunden auf dem Fußboden liegend auf. Es ging unmittelbar zurück ins Klinikum, wo dann die echt lange Tortur begann: Organabstoßung, Schrittmacher-Implantation, Gallenblasenentfernung und jede Menge Kortison. Erst im Januar ging es für mich wieder in die eigenen vier Wände. Leider haben sich viele Symptome und Blutwerte auch im Mai '22 nach sieben Monaten nicht wesentlich verbessert. Manche Probleme sind schlimmer geworden, neue kamen hinzu - teilweise waren es auch Nebenwirkung einiger Medikamente. Aber trotz aller Unzufriedenheit und Meckerei über meinen Zustand muss ich feststellen: Ich lebe - und das ist ja nicht schlecht!

 

Monatelang mehr oder weniger durchgehend liegend im Krankenhaus zu verbringen, ist echt beschissen - vor allem, wenn der körperliche und psychische Zustand ebenfalls beschissen ist. Das einzige Highlight des Tages (natürlich neben den vielen Besuchen von Andrea!) war das Essen - wenn ich überhaupt mal Appetit und Hunger hatte. Wenigstens war die Qualität nach meinem Geschmack für Krankenhauskost (und ich kann vergleichen!) recht ordentlich. Essen ist in diesem Zustand enorm wichtig, denn lediglich das Gesicht, der Nacken und die mit Wasser eingelagerten Füße und Hände sind total dick und aufgedunsen, der Rest des Körpers besteht nur noch aus Haut und Knochen. Die Muskeln sind vom langen Liegen nahezu weg. Besonders das Kortison trägt dazu bei, dass man echt "scheiße aussieht". Den ersten Blick in den Spiegel vergisst man nicht, wenn man plötzlich einen dicken Hamster erblickt!

 

Herztransplantation
(A)/Selfies

 

Der Klinik-Alltag war wirklich nicht sonderlich angenehm: Ich hatte starke Schmerzen, war total verkabelt und hatte überall Schläuche im Körper. Dazu völlig kraftlos und extrem müde. Toilettengänge "gingen" nicht - es blieb nur Bettpfanne und Urin-Ente. Richtig anstrengend (obwohl ich bewegungslos im Bett lag) war die Dialyse, die über Wochen quasi täglich durchgeführt wurde. Es gab auch viele unangenehme und anstrengende Untersuchungen, dauerhaft piepsende und blinkende Geräte im Zimmer und ein immer zu weit vom Bett entfernter Nachttisch, auf dem das unerreichbare Wasserglas stand. Der Fernseher funktionierte nicht richtig und vom Reinigungspersonal wurden zweimal täglich meine Hausschuhe mit dem Wischmop so weit unter das Bett geschoben, dass ich nicht mehr dran kam. Ich glaube ja, dass das Absicht war! 😉

 

Ziemlich blöd finde ich, dass ich als Folge der Operation vorübergehend ein akutes Nierenversagen hatte und dann wegen einer chronischen Niereninsuffizienz dialysepflichtig wurde. Das ist leider eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität und der Mobilität - da wird u. a. auch das Reisen recht schwierig oder gar nicht mehr möglich sein. Der 13 cm lange Demers-Dialysekatheter in der Brust ist sehr unangenehm - man bleibt ständig irgendwo hängen und er macht Baden und Duschen nahezu unmöglich.

 

Aber ich bin trotz der vielen Rückschläge (Aszites, Schrittmacherimplantation, Gallenblasenentfernung, Vorhofflimmern mit mehreren erfolglosen Kardioversionen, Synkope mit Platzwunden und HWS-Problemen, Dialyse, Dauerkatheter-Implantation, immer wieder auftretende Ödeme, Polyneuropathien und Tremor, sowie viele "schlechte" Blutwerte und allerlei Medikamenten-Nebenwirkungen) noch durchaus positiv eingestellt und hoffe, dass mein Zustand irgendwann mal wieder etwas besser wird! Es wird sich zeigen, wie es weitergeht, aber immerhin geht es momentan noch weiter. Und darüber bin ich froh, obwohl alles körperlich sehr anstrengend und psychisch belastend ist. Mein eigenes Herz, also das "alte", würde wohl heute nicht mehr in mir schlagen. Dank eines Organspenders oder einer Organspenderin übernimmt diese Aufgabe jetzt das "neue" ...

 

Einige Tage vor der ersten Entlassung: Wenigstens ist der Appetit zurückgekehrt. Dank meines Hämoglobinmangels gab's Hirschgulasch 😉 (A)
Einige Tage vor der ersten Entlassung: Wenigstens ist der Appetit zurückgekehrt. Dank meines Hämoglobinmangels gab's Hirschgulasch 😉 (A)

 

Apropos Essen: Neben der notwendigen täglichen Biomasse in Form von Lebensmitteln ernährt man sich als HTX-Patient auch noch von reichlich Chemie. Zur Zeit sind es zwischen 15 und 18 verschiedene Wirkstoffe - je nach körperlicher Verfassung und in Abhängigkeit der Blutwerte. Mahlzeit!

 

Eine Tagesration Medikamente! Nein, es fehlen sogar noch 5 Tabletten - mittlerweile wurde die Immunsuppression deutlich erhöht.
Eine Tagesration Medikamente! Nein, es fehlen sogar noch 5 Tabletten - mittlerweile wurde die Immunsuppression deutlich erhöht.

Vielen DanK !


Drei Monate auf der Transplantationsstation:

Ich bin ja leider ein erfahrener Krankenhauspatient und weiß seit über zwei Jahrzehnten recht gut, was Ärztinnen und Ärzte und vor allem das Pflegepersonal leisten, aber das, was ich im Herzzentrum auf "meiner" Station B4 im HDZ Bad Oeynhausen monatelang erlebt habe, hat mich doch sehr beeindruckt! Hier wurde unglaublich tolle Arbeit abgeliefert und das trotz des Klinikpersonalmangels und der enormen zusätzlichen Belastung durch "Corona". Ich bin wirklich dankbar und froh, dass so viele engagierte Menschen sich dermaßen professionell und freundlich um die Patienten kümmern. Und einige haben sich sogar trotz des stressigen Jobs öfters mal Zeit für Gespräche über die persönlichen Probleme und Sorgen der (bestimmt nicht immer "einfachen") Patienten genommen. Ein wirklich beeindruckendes Team auf der Station und natürlich auch in der HTX-Ambulanz - Danke!!!

 

Und mein ganz besonderer Respekt gilt allen Organspender/innen, den Menschen, die für ihre verstorbenen Angehörigen die Entscheidung für eine Oprganspende getroffen haben und allen, die einen Organspendeausweis bei sich tragen!

 

Herztransplantation Erfahrungsbericht
... und das gilt natürlich auch für die Physiotherapeutinnen, Reinigungskräfte, Koordinatoren und alle anderen Mitarbeiter/innen der HTX-Station!

Weitere Info zur Herztransplantation


Herztransplantation in Deutschland

  • Aktuelle Zahlen: Im Jahr 2021 wurden deutschlandweit 329 Herzen transplantiert, davon 63 im Herzzentrum Bad Oeynhausen. Und ich war dabei! Im Laufe des Jahres kamen 522 Neuanmeldungen hinzu. Ende 2021 standen noch über 727 Menschen auf der Warteliste. (Quelle: DSO.de)
  • Überlebensstatistik: Die Wahrscheinlichkeit, während oder kurz nach einer Herztransplantation zu versterben liegt bei etwa 10%. Nicht zuletzt aufgrund vielfältiger Weiterentwicklungen im Bereich der immunsuppressiven Therapie nach HTX ist das "Outcome" sowohl bezüglich Mortalität und Morbidität deutlich verbessert worden. Das 1-Jahres-Überleben nach HTX liegt derzeit bei etwa 75-85%, das 5-Jahres-Überleben bei 60-70% und nach 10 Jahren leben noch ca. 50% der Herztransplantierten. Die gute Langzeitprognose macht die HTX in der Regel zu einer definitiven Therapie. Viele Patienten leben schon mehr als 15 Jahre ohne grössere Komplikationen mit dem Spenderorgan. Für die Lebensqualität der Patienten nach HTX ist auch maßgeblich entscheidend, wie häufig eine stationäre Behandlung im Krankenhaus erforderlich ist, unabhängig von der Ursache. (Quellen: Planet-Wissen.de, Organspende-Info.de, Transplantation-verstehen.de)
  • Die Zuteilungskriterien eines Spenderorganes sind im Wesentlichen die Körpergröße, das Körpergewicht, die Blutgruppenverträglichkeit und letztlich auch die Wartezeit. Nur in ganz dringlichen Situationen ist es möglich, Patienten auf der höchsten Dringlichkeitsstufe HU ("High Urgency") zu melden. Die Organverteilung erfolgt europaweit durch Eurotransplant und wird von einer unabhängigen und regelmäßig wechselnden Facharztkommission vorgenommen.
  • Voraussetzungskriterien einer Listung für ein Spenderherz: Keine akuten oder chronischen Entzündungen, keine bösartigen Tumorerkrankungen, keine fortgeschrittenen Schädigungen anderer Organe, kein Drogen-, Alkohol- und vor allem kein Nikotinkonsum. Ach ja ... der Zustand des Herzens und/oder der beteiligten anderen Organe, d.h. die Prognose, muss entsprechend schlecht sein.
  • Lebensumstände bei T-Listung ("Transplantabel"): Aufenthalt zu Hause oder zumindest irgendwo in Deutschland (das Herzzentrum organisiert die Abholung per Rettungswagen oder per Hubschrauber), telefonische Erreichbarkeit rund um die Uhr, Koffer sollte gepackt sein, kein Nikotinkonsum, sofortige Meldung bei gesundheitlichen Veränderungen und beim Verlassen Deutschlands, sich bestmöglich vor Infektionen und Verletzungen schützen. Indikation für eine Herztransplantation.
  • Lebensumstände bei HU-Listung ("High Urgency"): Der Patient befindet sich bereits in einem sehr kritischen Zustand. Aufenthalt im Transplantationszentrum bis zur Herztransplantation bzw. "Kunstherz"-Implantation (VAD) oder eben bis zum finalen Ende. Man kommt vorher in der Regel nicht mehr aus dem Krankenhaus.
  • Die durchschnittliche Wartezeit liegt zwischen 6 bis 24 Monate, bis ein passendes Organ gefunden wird. Falls eines gefunden wird. Falls nicht, erhalten die Patienten bei Zustandsverschlechterung meistens ein VAD-Pumpunterstützungssystem, oder sie versterben "auf der Warteliste". Dieses Unterstützungssystem kann eine Übergangslösung oder aber auch final sein. Mit einem VAD rutscht man nämlich auf der Warteliste wieder nach unten - es geht dem Patienten ja meist besser. Verhältnis von Transplantationen zu Neuanmeldungen.
  • Deutschland entzieht anscheinend dem "europäischen Markt" unverhältnismäßig viele Organe. Bei uns werden wesentlich mehr Herzen transplantiert, als es Spender gibt! Ich finde es (unabhängig von meinem persönlichen Schicksal) wirklich zum Kotzen, dass die Widerspruchsregelung unter dem ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn nicht umgesetzt wurde.
  • Eurotransplant-Vorgehensweise: "Sobald ein Spender gemeldet wird, bestimmt Eurotransplant mit Hilfe eines komplexen Computerverfahrens für jedes verfügbare Organ eine Matchliste. Vier allgemeine Prinzipien sind für die Zuteilung von Bedeutung: der erwartete Erfolg nach der Transplantation, die durch Experten festgelegte Dringlichkeit, die Wartezeit und die nationale Organaustauschbilanz. Das zu erwartende Ergebnis nach der Transplantation wird unter anderem anhand der individuellen Merkmale von Spender und Empfänger vorhergesagt. Die Mitarbeiter in der Zentrale von Eurotransplant bieten das Spenderorgan dem Transplantationszentrum des am höchsten gelisteten Patienten auf der Warteliste an. Zur Sicherheit erhält auch das Transplantationszentrum des zweitgelisteten Patienten ein unverbindliches Angebot. Nach der Annahme des Organs durch den behandelnden Arzt werden die Entnahme und des Transport des Organs organisiert." (Text-Quelle: Eurotransplant)

Der weitere Verlauf


März 2022

 

Die Ärztinnen und Ärzte sagen jetzt - nicht ganz sechs Monate nach Transplantation und mit einer aktuellen Organ-Abstoßungsreaktion - ich müsse weiterhin Geduld haben. Manchmal dauert es länger als ein Jahr, bis man als Herztranplantierter wieder einigermaßen fit wird. Aktuell wurde erstmal die Immunsuppressiva-Dosierung ordentlich erhöht, um die Organabstoßung zu verhindern. Blöderweise nehmen dadurch auch die teilweise recht unangenehmen Nebenwirkungen entsprechend zu. Leider hat "mein" denerviertes Spenderherz keine richtig funktionierende Pulsregelung mehr. Der Ruhepuls liegt ohne Schrittmacher bei 40 bpm und bei körperlicher Belastung geht der Puls auch nicht nach oben. Der implantierte Pacemaker übernimmt jetzt zu 100% die Regelung (gesteuert durch Bewegungssensoren) und versucht, den Pulsschlag einigermaßen meiner tatsächlichen Belastung anzupassen. Geregelt wird von 60 bis 130 bpm. Leider ist die Technik jedoch nicht perfekt: Mein Schrittmacher sitzt blöderweise unter dem rechten Schlüsselbein (normalerweise wird auf der linken Seite implantiert, aber da liegen bei mir "Kabelreste" im Gefäß) und wenn ich den rechten Arm (ich bin Rechtshänder) schnell bewege (z. Bsp. beim Zähneputzen) meint das Gerät, der Puls müsse auch entsprechend schneller werden. Das bedeutet, dass ich mir immer mit einem 130er Puls die Zähne putze und wenn ich damit aufhöre, geht der Puls innerhalb von wenigen Sekunden auf 60 bpm herunter. Umgekehrt ist es leider so, dass der Puls nicht adäquat hoch geht wenn ich den Oberkörper ruhig halte, aber zeitgleich kräftig am Radeln bin oder schnell gehe. Also muss ich bei Belastung immer den Oberkörper oder den rechten Arm ordentlich mitbewegen, sonst kommt der Kreislauf nicht in Schwung. Irgendwie ein seltsames und irritierendes Gefühl. Naja, es ist wie es ist - Hauptsache, das Herz schlägt!

 

 

Juni 2022

 

Ich habe ja nicht mehr daran geglaubt, aber meine Nieren haben sich etwas erholt! Sie arbeiten zwar nicht optimal (das werden sie sehr wahrscheinlich auch nicht mehr), aber die Nephrologen entscheiden, dass ich nicht mehr dialysepflichtig bin - der Demers-Dialysekatheter wird nach einem halben Jahr operativ entfernt. Für mich ist das Freiheit pur und eine deutlich verbesserte Lebensqualität - ich bin unheimlich froh darüber!

 

(A)
(A)

Juli 2022

 

Es ist immer noch unklar, ob ich eine Abstoßungs-Reaktion habe! Die Herzmuskel-Biopsien im März und im Mai ergaben wiederholt eine Abstoßung Grad 1 (nach der Grad 2-Abstoßung im Dezember). Bereits seit einem halben Jahr lebe ich nun mit der Ungewissheit und einer stark erhöhten Immunsuppression. Die Nebenwirkungen einiger Medikamente machen mich fix und fertig und nahezu schlaflos und dank 10 mg Kortison bleibt mir mein Hamstergesicht vorerst erhalten. Physisch wie psychisch ist es seit Monaten eine echte Belastung für mich und die nächste Kontrollbiopsie ist erst für Ende September im Rahmen der 1-Jahres-Kontrolle geplant. Heftig sind die Muskelschmerzen und HWS-Probleme, sowie die schmerzhaften Polyneuropathien, die ich seit Längerem habe. Gehen fällt schwer und das Kälte- und Wärmeempfinden ist gestört. Bald gibt es Termine beim Neurologen und Rheumatologen. Dennoch habe ich das Gefühl, dass es mir langsam besser geht: Ich bin sogar schon einige kleine Runden mit dem Fahrrad gefahren und habe etwas Muskulatur aufgebaut.

 

 

Ende August 2022

 

Die 1-Jahres-Kontrolle nach der Transplantation wurde glücklicherweise auf mein Drängen hin um einen Monat vorgezogen - ich hatte die Ungewissheit und die Medikamenten-Nebenwirkungen wirklich nicht mehr ausgehalten. Es gab einen Haufen Untersuchungen und einen sehr schönen Biopsie-Befund des Herzens: Momentan gibt es keine Abstoßungsreaktion! Das ist die beste und wichtigste Nachricht seit Monaten! Die Pumpleistung des Spenderherzens ist recht gut, der rechte Ventrikel bekanntermaßen vergrößert und zwei der vier Herzklappen sind undicht. Eine eigene Pulsregelung habe ich leider immer noch nicht, das übernimmt vollständig der implantierte Schrittmacher. Mit den anderen Befunden und Werten waren die Mediziner eigentlich zufrieden bis auf die sehr schlechten Leberwerte, die immer noch ordentlich eingeschränkte Nierenleistung, die mittlerweile stark fortgeschrittene Osteoporose (kein Wunder nach 25 Jahren Kortisonkonsum) und die schmerzhafte und sehr irritierende Polyneuropathie. Es ist nicht alles perfekt und das wird es nie sein, aber ich freue mich gerade wie Bolle! Jetzt wurden die Immunsuppressiva und zwei weitere Medikamente etwas reduziert, sowie zwei Wirkstoffe ganz abgesetzt, weil ich (hoffentlich) auch kein Vorhofflimmern mehr habe. Ich benötige momentan nur noch 13 verschiedene Medikamente verpackt in 22 Tabletten. Die Richtung meiner Entwicklung stimmt allmählich!

 

 

(A)
(A)

Ende September 2022

 

Das erste Jahr mit dem Spenderherz liegt hinter mir! In Absprache mit dem Herzzentrum hatte ich die Intervalle für die Blutkontrollen auf über zwei Wochen gestreckt und so konnten Andrea und ich tatsächlich eine schöne Reise machen.

 

Wir verbrachten den ersten Jahrestag in Schweden! Und das auch noch mit mehr als 30.000 Kranichen am Hornborgasjön und in Kvismaren - zwei der großen schwedischen Kranich-Hotspots zur Zugzeit! Ich war relativ fit und genoss die Tour sehr. Trotz ordentlicher Nerven- und Muskelschmerzen gab es sogar längere Wanderungen im Storre Mosse Nationalpark und im kleinen Norra Kvill Nationalpark. Ein absolutes Highlight war für mich als "Orni" der massive Vogelzug südlich von Malmö mit mehr als einer halben Million Zugvögel (offizielle Zählung der Vogelwarte Falsterbo) an einem einzigen Tag genau an unserem Beobachtungsplatz. 

Wer hätte im Sommer 2021 gedacht, dass ich das alles dieses Jahr, bzw. überhaupt noch erleben werde? Wir jedenfalls nicht...

 

 

Der erste Jahrestag 2022 mit dem Spenderherz - die Gefühle und Gedanken sind nicht in Worte zu fassen... (A)
Der erste Jahrestag 2022 mit dem Spenderherz - die Gefühle und Gedanken sind nicht in Worte zu fassen... (A)
Herztransplantation
Endlich geht's wieder über Stock und Stein! (A)

 

Der erste richtig steile Anstieg konnte erst nach einem Jahr der Regeneration bewältigt werden. Ich habe recht lange nach der Transplantation gebraucht, um wieder einigermaßen in die Gänge zu kommen. Die vielen Rückschläge und hier besonders die Folgen des Sturzes durch die Ohnmacht, ermöglichten mir es erst im Fühsommer die Muskulatur etwas zu trainieren und aufzubauen. Im steilen Geländes des Norra Kvill Nationalparks dachte ich zuerst, ich schaffe es bestimmt nicht, die große Wanderrunde mit den vielen heftigen Steigungen bis zum Ende zu laufen. Aber es ging viel besser als ich dachte - ich war richtig happy mit dem neuen Herz und meinem körperlichen Zustand!

 

Herztransplantation
Birdingtour bei Münster, Selfie

Mai 2023

 

Es läuft nicht alles rund bei mir und meinem Spenderherz - im wahrsten Sinne des Wortes. Seit Anfang des Jahres habe ich seltsame Rhythmusstörungen: Die vielen Extrasystolen und Frequenzschwankungen sind recht irritierend und veranlassten die Ärzte zu einer weiteren Herzbiopsie und einer umfangreichen Koronarangiographie im April, um eine erneute Abstoßungsreaktion bzw. eine Graft-Vaskulopathie auszuschließen. Zum Glück ist diesbezüglich momentan alles in Ordnung, aber die Arrhythmien sind nach wie vor da. Das klingt jedoch viel schlimmer als es ist: Ich bin so froh, dass ich lebe! Und das ist schon richtig cool und überhaupt nicht selbstverständlich. Wegen der vielen engmaschigen Arzttermine gab es zwar in diesem Jahr bislang keine längeren Reisen, aber immerhin waren ein paar schöne und erlebnisreiche Kurztrips mit dem Wohnmobil, einige Radausflüge und viele längere Wanderungen möglich - trotz der ständigen und zermürbenden Muskel-, Sehnen- und Nervenschmerzen. Manchmal muss man halt (wie auf dem Foto zu sehen) etwas gequält lächeln und sich durchbeißen...

Die täglichen "Zwischenmahlzeiten"!
Die täglichen "Zwischenmahlzeiten"!

Es wurde mal wieder an den Medikamenten "geschraubt" und leider sind es mehr geworden. Momentan bin ich bei 18 verschiedenen Wirkstoffen, die ich in ca. 30 Tabletten über (je)den Tag verteilt einnehmen muss. Ab und an gibt's noch Tropfen und Spritzen obendrauf! Ohne diese Medikamente würde ich wohl keine 14 Tage überleben. Der Preis dafür ist eine ganze Menge an Nebenwirkungen: Leber, Nieren, Muskeln, Nerven, Augen, Haut, einige Körperfunktionen sowie die Psyche leiden bei mir ganz unterschiedlich unter der Chemie. Trotz der Probleme, die mir die Medikamente bereiten, ist die moderne Pharmakologie ein echter Segen für Patienten wie mich. Ich bin sehr froh darüber,  dass das deutsche Gesundheitssystem mir den recht günstigen Zugang zu den Pillen bislang ermöglicht! Nur die Lieferengpässe dürfen nicht noch schlimmer werden ...

Wenn die Sonne zum großen Problem wird ...

 

An Kollagenosen und besonders an SLE erkrankte Menschen leiden oft unter einer ausgeprägten Photosensibilität, also einer erhöhten UV-Lichtempfindlichkeit. Zum einen ist die Sonneneinstrahlung direkt auf der Haut bei mir nach kurzer Zeit tatsächlich richtig schmerzhaft und löst schnell Schwellungen und starke Rötungen aus, zum anderen kann die überschießende Autoimmunantwort auch schwere Krankheitsschübe auslösen. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, sollte man auch bei der Einnahme bestimmter Medikamente die direkte Sonnenexposition meiden. Einige meiner Medikamente (Blutdrucksenker, Antiarrhythmika, Antibiotika, Lipidsenker, Kortison und Schmerzmittel) gehören dazu und die hochpotenten Immunsuppressiva erhöhen insbesonders das Hautkrebsrisiko extrem. Leider habe ich schon seit Jahren mit dem weißen Hautkrebs zu kämpfen, was es noch riskanter macht, wenn ich mich ungeschützt der Sonne aussetze.

 

Das alles ist für die meisten Betroffenen recht übel, aber gerade wenn man wie ich ein "Draußenmensch" ist, ist das richtig beschissen. Ich habe folgenden Schutzmaßnahmen vor direkter Sonneneinstrahlung getroffen, die ich aber nicht immer ganz konsequent umsetzen kann:

  • Eincremen der unbedeckten Hautstellen mit Sonnenschutzcreme (mind. LF50+ oder LF100 wie z.B. Eucerin Actinic Control 100 oder ISDIN Eryfotona AK fluid)
  • Lange Hosen und Langarmhemden (teilweise mit integriertem Sonnenschutz LF50),
  • Kappen, Hüte mit breiter Krempe
  • Multifunktionstuch Buff Coolnet UV (Halstuch, Kopftuch, Gesichtsmaske) mit Sonnenschutz LF50
  • Handschuhe mit Sonnenschutz LF50 (spezielle "Wüstenhandschuhe")
  • Sonnenschirm mit UV-Schutz Euroschirm Swing handsfree UV
  • Sonnenbrille
  • Möglichst in den Phasen der höchsten UV-Belastung nicht im Freien aufhalten: In Deutschland ist das etwa von Anfang Mai bis Ende Juni zwischen 11 und 15 Uhr. Bewährt haben sich auch Wetter-Apps mit UV-Index-Warnungen!

Einfach zu merken ist das mit der "4H-Regel": Hoher Lichtschutzfaktor, Hemd, Hose, Hut! Leider muss ich das mit dem aktiven Sonnenschutz mehr oder weniger unabhängig von der Außentemperatur und dem Aufenthaltsort machen - also eigentlich immer im Freien: Es ist bestimmt oft irritierend für andere Menschen, wenn ich nahezu vollvermummt durch die Stadt laufe und bei Schattentemperaturen von mehr als 30°C ist es auch recht unangenehm, überall Stoff und Creme auf der Haut zu haben, wenn man stark schwitzt! 

September 2023

 

Zwei Jahre sind seit der Transplantation vergangen. Wir "feiern" den 2. Jahrestag mit dem Spenderherz wieder in Schweden - gemeinsam mit mehr als 24.000 Kranichen am Hornborgasjön. Es ist ein Wahnsinnspektakel bei bestem Wetter und seltsamerweise wurden ganz offiziell hier am schwedischen Kranich-Hotspot noch nie soviel rastende Exemplare gezählt wie an diesem Tag. Ich habe das eigenartige Gefühl, dass ich jetzt erst so richtig verstanden habe, was da seit September '21 mit mir passiert ist. Richtig beschreiben kann ich die Gedanken und Gefühle nicht. Ich habe aber den Eindruck, dass ich endlich eine riesige Baustelle hinter mir gelassen habe. Andrea macht genau an diesem Morgen auch das Foto direkt am Hornborgasee, wärend Tausende von Kranichen lautstark ihren Schlafplatz verlassen, um weiter nach Süden zu ziehen. Es läuft!

 

Herztransplantation
(A) Hornborgasjön

 

Ich lasse die "Großbaustelle" langsam hinter mir! Mir geht es bis auf die gelegentlich auftretenden Rhythmusstörungen, Blutdruckschwankungen und häufigen Muskelkrämpfe einigermaßen gut. Mit den Ergebnissen der Zweijahreskontrolle waren die Transplantationsmediziner aus Bad Oeynhausen recht zufrieden und ich bin es auch! Körperlich deutlich besser belastbar, kann ich kleine Fahrradtouren und Wanderungen unternehmen und komme mit den ständigen Muskel- und Nervenschmerzen noch einigermaßen klar. Und zwei Medikamente wurden aktuell von meiner Liste gestrichen - so kann es weitergehen! 

Jörg Rüblinger
Selfie in einem niederländischen Moorgebiet

März 2024

 

Oh, jetzt könnte man meinen, ich hätte nur eine einzige "Outdoorjacke" und eine Cap - aber nein, es ist reiner Zufall, dass ich schon wieder dieselben Klamotten auf dem Foto trage! Ich habe mein Spenderherz nun schon seit mehr als 900 Tagen in der Brust und es schlägt recht munter vor sich hin - ab und an mit Schrittmacherunterstützung. Ich bin momentan recht zufrieden und immer besser belastbar, wobei ich aber nach wie vor nicht sonderlich kräftig bin. Ich fahre regelmäßig mit dem Rad, kann mit Rucksack mehrfach in der Woche Wanderungen machen und bin eigentlich täglich aktiv und irgendwo unterwegs. Lediglich die Nerven- und Muskelschmerzen sind heftig und manchmal trotz medizinischem THC kaum auszuhalten. Andere Schmerzmittel kann bzw. soll ich wegen Interaktionen und Unverträglichkeiten mit anderen Medikamenten leider nicht einnehmen. Einige andere Wirkstoffnebenwirkungen, hier besonders die Muskelkrämpfe und die bislang unerklärlichen Magen-/Darmprobleme sind auch überhaupt nicht angenehm. Naja, das ist halt der Preis der ganzen lebenserhaltenden Medikation. Apropos: Es wurden leider nicht weniger Tabletten und die tägliche Organisation rund um die Medikamente - insbesondere bei Reisen - erfordert wirklich viel Disziplin und Konzentration. Für das dritte Jahr nach der Transplantation habe ich mir jedoch viel vorgenommen - mal schauen, was davon alles klappt in 2024!

Herztransplantation
Steinhuder Meer, Selfie

Mai 2024

 

Mir geht es momentan recht gut! So habe ich das seit 25 Jahren nicht mehr empfunden, geschweige denn gesagt oder geschrieben! Mit dem Wohnmobil gab es eine dreiwöchige "ornithologische" Rundreise zum Dümmer See / Ochsenmoor, Steinhuder Meer und Nationalpark Hainich mit jeweils einer Woche Aufenthalt vor Ort. Nahezu täglich bin ich mit dem großen Kamera-Rucksack zwischen 10 und 25 Kilometer gelaufen - einfach unglaublich. Mir tat zwar jeder Muskel weh und die Nerven an den Füßen feuerten wie blöd, aber es war toll, wie fit ich war. Ich hatte große Freude beim Wandern und den vielen tollen Vogelbeobachtungen, sowie einen Heidenspaß mit der neuen Kameraausrüstung.

 

Und Andrea hat - im Gegensatz zu meinen Ärzten - endlich herausgefunden, dass ich eine heftige Weizen- bzw. Glutenunverträglichkeit (evtl. sogar Zölliakie) habe. Dank rigorosem Verzicht auf alles, was Gluten enthält, habe ich jetzt endlich so gut wie keine Magen-/ Darmprobleme mehr. Die bleiernde Müdigkeit und die "Matschbirne" sind ebenfalls seitdem weg! I'm happy!

5 Rettungswagen kamen gleichzeitig an
5 Rettungswagen kamen gleichzeitig an

Ende Mai 2024

 

Zu früh gefreut: "Irgendwas ist immer!" Hätte Kurt Tucholsky nicht schon diesen Titel für seine Lebensweisheiten verwendet, hätte dieses Credo auch von mir stammen können. Zumindest trifft es es in Sachen "Gesundheit" bei mir offensichtlich den Nagel auf den Kopf. Es ging mir anscheinend zu gut. Am letzten Tag meiner Reise hatte ich plötzlich Sehstörungen. Was folgte, waren fünf Tage im Krankenhaus auf der Stroke-Unit (leider lag ich im Zimmer direkt über dem Notaufnahme-Eingang) mit Verdacht auf eine TIA, eine transitorische ischämische Attacke - ein möglicher Vorbote eines Schlaganfalls. Eine eindeutige Diagnose gab es leider nicht. Die Sehstörungen traten bislang nicht mehr auf und ich nehme jetzt erstmal prophylaktisch einen "Blutverdünner" (Thrombozytenaggregationshemmer) ein. Es könnte sich bei meinen Sehstörungen (Beidseitige Sehausfälle im Bereich bunter kristallartiger Gebilde, die sich langsam bewegen), auch um eine "Aura" handeln, also eine Art "Augenmigräne". Das muss noch abgeklärt werden. Also geht es erstmal weiter wie bisher: Jeden Tag möglichst genießen und sich nicht unterkriegen lassen vom maroden und ständig schmerzenden Körper! Das ist aber wirklich nicht so leicht ... 

Selfie 09/24
Selfie 09/24

Ende September 2024

 

Der dritte Jahrestag der Transplantation wurde wieder zusammen mit Kranichen gefeiert - diesmal genau an dem Ort, an dem ich nachts vor exakt drei Jahren den Anruf bekommen habe, dass es ein passendes Herz für mich gibt. Es war unerwartet aufwühlend für mich, das erste Mal seit der Operation wieder hier zu sein. Ich habe alles abrufen können, was damals passiert ist: die späte Ankunft am Kranichschlafplatz, die in großen Gruppen einfliegenden Vögel und ihre tollen Rufe, der nächtliche Anruf des Transplantationskoordinators, die vielen Telefonate mit Andrea und die irre Fahrt nach Bad Oeynhausen hatte ich konkret im Kopf und konnte mich an jedes Detail erinnern. Es war gut, nochmals an diesem Ort zu sein und alles gedanklich durchzuspielen. Damals schaffte ich es nicht, um den kleinsten Teich zu laufen. Alle paar Schritte musste ich stehen bleiben - keine Kraft, keine Luft. Ich war am Ende - in jeder Hinsicht!

 

Jetzt bin ich nach drei Jahren wieder hier und laufe ohne Anstrengung schwer beladen stundenlang durch die Gegend und genieße an einem unbeschreiblich schönen Abend den Anblick von fast 70.000 Kranichen, die laut rufend in riesigen Trupps bei bestem Licht quasi direkt neben mir ihre Schlafplätze aufsuchen. Nur einen Tag zuvor habe ich bei einer 12 Kilometer langen Wanderung zwei Wölfe gesehen, auf der Reise viele nette Menschen getroffen, interessante Gespräche geführt und tolle Landschaften erlebt. Ich lebe, bin gut belastbar und kann das alles und noch viel mehr momentan richtig genießen! 

 

Es ist schon erstaunlich, was die Medizin, die Pharmakologie und vor allem der/die Organspender/in und vielleicht auch mein Lebenswille sowie mein Durchhaltevermögen ermöglicht haben. Auch wenn körperlich nicht alles optimal funktioniert, das geschenkte Herz manchmal seltsam arrhythmisch schlägt und die Schmerzen oft heftig sind: Ich bin mehr als zufrieden mit meinem Zustand und dankbar, dass es ist, wie es ist! Wenn das kein Glück ist - was dann? 

 

In ein paar Wochen habe ich meine große Kontrolluntersuchung nach drei Jahren im Transplantationszentrum. Hoffentlich gibt es da nur "gute Befunde" und keine böse Überraschung - es bleibt leider immer spannend!

 

 


www.organspende-info.de
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